Geschichte

Wenn man von Lübeck aus nach Herrnburg geht und in das alte Dorf gelangt, so hat man bald die platzartige Erweiterung der Straße vor der Kirche erreicht. Unser Blick haftet unwillkürlich auf einem kleinen Fachwerkbau uns gegenüber, der malerisch in die Straße vorspringt und den Platz abschließt. Er bildet die Nordwestecke des Kirchhofs und verbirgt geheimnisvoll die dahinter noch liegenden Ruhestätten der Toten. Und nachdem wir die alten Bauernhäuser mit den großen Strohdächern gesehen, streift unser Blick wiederum hin zu dem kleinen Gebäude. Wie ein Fremdkörper erscheint er uns jetzt, dieser zweigeschossige Fachwerkbau. Ohne weiteres taucht daher die Frage auf, welche Bedeutung hat dieser eigenartige und so auffällig liegende Bau. Die verschiedensten Vermutungen über seinen ehemaligen Zweck kann man hören. „Altes Zollhaus“ oder „Alte Kapelle“ wird das Haus genannt, und nach mündlicher Überlieferung soll es noch aus der Zeit stammen, da Heinrich der Löwe in der Gegend von Herrnburg, seiner Zeit als Lübeck 1157 abbrannte, die Löwenstadt anlegte. Selbstverständlich entspricht das nicht den Tatsachen, wie der Augenschein lehrt. Das Haus ist erst nach 1775 erbaut worden. Während es heute nicht mehr mit der Kirche in Verbindung steht, war es früher Eigentum derselben. Es diente als solches einst einem armen Mann als Unterkunft, also als Klause. Dieser Klausner sammelte von den vorüberziehenden Fremden Gaben. Ein Drittel von diesen Einkünften erhielt er selbst, eins die Herrnburger Kirche und eins das Siechenhaus zu Zarnewenz. Es war also eine Einrichtung, wie wir sie auch sonst an verschiedenen Stellen gehabt haben, z.B. bei der Herrnfähre und an den Toren Lübecks. Auch Sage und Spuk haben ihre geheimnisvollen Geschichten mit dem Haus in Verbindung gebracht. Manch einer hielt es für ein altes Grenzzollhaus, das sogar durch einen Tunnel Verbindung mit der Kirche hielt.

Und viel Kopfzerbrechen bereitete dem Beschauer die Deutung eines hoch oben an der Nordwand nach der Dorfstraße hin zwischen zwei Balken des Fachwerks angebrachten aus Ton gebrannten Reliefs. Der Augenschein lässt Verwandtschaft mit den Arbeiten des Statius von Düren vermuten. In der Tat handelt es sich um eine von den vielen Terrakotten, die Statius von Düren in Lübeck hergestellt hat. Oben sehen wir zwei einander zugekehrte Fabelwesen, halb Mensch halb Pferd, ein männliches und ein weibliches Wesen. Unten sind es zwei Vögel, Kraniche anscheinend.

Relief am Alten Zollhaus

Relief (Terrakotte) von Statius von Düren aus dem 16. Jh.

Das Relief hat einst zu einem Kamin oder Portal gehört, es war ursprünglich nicht für das Haus in Herrnburg gedacht, was auch schon zeitlich nicht möglich ist, da Statius von Düren von 1551 bis 1571 arbeitete. Es scheint, dass der Baumeister, der nach 1775 das Haus errichtete, die Terrakotte besaß und sie als Schmuckstück am Haus angebracht hat. Quelle: Auszüge aus: Mitteilungen des Heimatbundes für das Fürstentum Ratzeburg (Heft Nov. 1925).

Auch in unserem Jahrhundert, in den dreißiger Jahren, wurde der Fachwerkbau mit weiteren Kuriositäten versehen, die ihm den bis heute zu spürenden, individuellen Charme verschafften. Der damalige Besitzer, ein Chefkoch namens Koch, befuhr seinerzeit einen Passagier-Dampfer auf der Hamburg-Afrika-Linie. Von seinen Reisen brachte er Geweihe afrikanischer Tiere mit nach Herrnburg, die fortwährend das Haus schmückten.

Gegenwärtig wünschen wir uns, dass unsere Kunstausstellungen dem Hause auch den nötigen inneren Glanz vermitteln, der ein Bild abrundet und dem alten Zollhaus zu der Achtung verhilft, die ihm gebührt.

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